UM DIE STIMME GEBRACHT
Liebe Kolleginnen und Kollegen,
Anfang Februar ist ein neuer Lehrlingskollektivvertrag in Kraft treten, der so niemals hätte beschlossen werden dürfen. Viele Kolleginnen und Kollegen sind angesichts der vorgesehenen Tarife völlig zu Recht entsetzt. Den Kollegen Landesinnungsmeistern und mir geht es nicht anders. Uns hat, nachdem wir von dem Beschluss erfuhren, vor allem die Frage umgetrieben, wie das passieren konnte – also wie es sein kann, dass so ein Beschluss ohne die Bundesinnung der Zahntechniker gefällt wird. Wir wurden schließlich nicht über den Verhandlungstermin im Bundeseinigungsamt informiert und hatten somit auch keine Möglichkeit, gegen die massiven Erhöhungen zu argumentieren und Einfluss auf die neue Regelung zu nehmen.
Es hat eine Zeit lang gedauert, genau zu eruieren, nach welchem Prozedere der neue KV zustande kam und vor allem, wieso wir nicht eingebunden wurden. Die Antwort ist gelinde gesagt erschreckend: Der Geschäftsführer der Bundesinnung der Gesundheitsberufe, also ein hochrangiger Mitarbeiter der Bundeswirtschaftskammer, hat es nicht nur mehrfach verabsäumt, uns über die Verhandlung zu informieren. Mehr noch – er wäre sogar selbst als Mitglied des Senats geladen gewesen, hat sich aber als befangen entschuldigt. Aber der Reihe nach: 2016 kündigte die Gewerkschaft younion den Lehrlingskollektivvertrag auf. In so einem Fall wird es nötig, dass Arbeitnehmer- und Arbeitgebervertreter über die künftige Entlohnung neu verhandeln. Um guten Willen zu zeigen, lud die Bundesinnung der Zahntechniker Mitglieder der Gewerkschaft zu einem Gespräch. Am 14. November 2016 legten Landesinnungsmeister Alfred Kwasny und ich im Beisein des oben erwähnten WKO-Geschäftsführers zwei Vertreterinnen der Gewerkschaft dar, dass wir eine Einigung angesichts der viel zu hohen Forderung der Gewerkschaft für nicht vorstellbar halten. In dem Gespräch vereinbarten wir allerdings, erst weiter zu verhandeln, wenn das neue Berufsbild Zahntechnik feststeht. Wäre es dann zu keiner Einigung gekommen, sollte das Bundeseinigungsamt abwägen und einen Tarif festsetzen. Kurz nach dem Termin bedankten sich die beiden Gewerkschafterinnen, die stellvertretende younion-Vorsitzende Angela Lueger und Monika Friedl, übrigens noch für das „konstruktive Gesprächsklima“ und sahen „der zugesagten Übermittlung eines Entwurfs für ein neues Berufsbild mit Interesse entgegen“. Frau Lueger war übrigens auch jene Gewerschaftsvertreterin, die den Antrag auf Satzung ursprünglich stellte.
Ab dem 11. Januar 2017 war die Bundesinnung wie geplant auf der Turracher Höhe, um gemeinsam mit Fachexperten wie Hochschulprofessoren, Lehrern der Berufsschulen in Wien und Baden und dem Leiter der AÖZ am neuen Berufsbild zu arbeiten. Ebenfalls anwesend: Der bereits erwähnte WKO-Mitarbeiter, der uns schließlich am ersten Tag der Klausur abends aufgeregt eine E-Mail mit der Veröffentlichung des Bundesgesetzblattes zeigte, das den neuen KV festschreibt. Zu diesem Zeitpunkt muss dem WKO-Bediensteten, ein Jurist übrigens, klar gewesen sein, dass er selbst Teil des verhandelnden Senats gewesen wäre und dass es der Bundesinnung allein durch seine Verfehlung nicht möglich war, auf das Verhandlungsergebnis Einfluss zu nehmen. Aber: Er verbrachte die folgenden Tage damit zu beteuern, er wisse nicht, wie so etwas möglich sei, werde es aber schnellst möglich herausfinden. Tatsächlich hatte er am 1. Dezember per Mail eine persönliche Einladung als Senatsmitglied für die Verhandlung am 9. Januar bekommen, sich am 7.12. aber für befangen erklärt und abgesagt. Am 20.12. erhielt er wiederum die Einladung, „einen informierten Vertreter“, also beispielsweise mich als Bundesinnungsmeister, zur Verhandlung am 9.1. zu schicken. Diese Einladung hatte zuvor die ihm übergeordnete SP-Abteilung drei Wochen (!) nicht an ihn weitergeleitet. Keine dieser Informationen wurden an uns weitergegeben. Hätten wir von dem Termin erfahren, hätten wir einerseits natürlich die Möglichkeit gehabt, die Gewerkschaft an unsere Abmachung zu erinnern und die Sitzung zu verschieben, andererseits hätten wir ansonsten auch am 9. Januar bei der Verhandlung unseren Standpunkt darlegen können.
Wie läuft eine Verhandlung ab? Der Senat, der zu gleichen Teilen aus Arbeitnehmervertretern und Wirtschaftskammermitarbeitern besteht, hört in einer ersten Phase Vertreter beider Seiten an. Danach folgt die Entscheidungsfindung. Hätten wir hier die Möglichkeit gehabt, uns einzubringen – das Ergebnis wäre anders ausgefallen.
Ich konnte vor Kurzem auch ein Gespräch mit einem der beiden Senatsmitglieder führen, die seitens der Wirtschaftskammer an der Verhandlung teilnahmen. Der Jurist schilderte mir, wie sehr alle Anwesenden irritiert waren, dass niemand von uns anwesend war, um die Sicht der Zahntechniker darzulegen. Zu diesem Zeitpunkt war es allerdings nicht mehr möglich, den Termin zu vertagen, schließlich war formal alles in Ordnung. So musste der Senat am 9. Januar eine Entscheidung treffen.
Jedenfalls ist der Vertrauensverlust in die Institution Wirtschaftskammer für uns immens. Wie kann es sein, dass wir uns als gewählte Berufsgruppenvertreter nicht auf die Kammer und ihre Mitarbeiter verlassen können? Berufsgruppenpolitik findet innerhalb der WKO-Strukturen statt. Hier sollten wir unterstützt werden, juristisch beraten et cetera. Die meiste Zeit funktioniert dieses Prinzip auch. Wenn aber die interne Organisation der Wirtschaftskammer wie in diesem Fall so gravierend versagt, ist das eine Katastrophe. Denn jetzt müssen die 700 österreichischen zahntechnischen Betriebe die Schlampereien eines einzelnen WKO-Mitarbeiters ausbaden.
Wir verstehen die Wut vieler Kolleginnen und Kollegen gut. Nur konnten wir ohne Informationen leider weder agieren noch reagieren. Es ist mehr als ärgerlich, dass die Bundesinnung der Zahntechniker in diesem Fall um die Möglichkeit gebracht wurde, die Anliegen der Zahntechniker bei den Verhandlungen zu vertreten.
Dass wir ausgebootet wurden, ist schlimm. Viel schlimmer ist aber, dass die österreichischen Zahnlabore, die Berufsschulen und am Ende auch der Nachwuchs die Konsequenzen tragen müssen. Dass das folgenlos bleibt, werden wir jedenfalls nicht hinnehmen.
Euer
Richard Koffu